Spinnen von Nesselgarn

Das konventionelle Spinnen der Nesselfaser setzt sich, wie bei allen anderen Bastfasern auch, aus der so genannten Spinnereivorbereitung und dem Feinspinnprozess zusammen.

Am Ende der Spinnereivorbereitung steht im Prinzip ein leicht gedrehtes Vorgarn oder eine ungedrehte Lunte, welche im Feinspinnprozess dann ihre Garndrehung und endgültiges Garngewicht je Längeneinheit erhält, also zu dem wird, was unter einem Garn verstanden wird.

Der Weg, auf dem ein solches Vorgarn erreicht werden kann, entscheidet über die maximale Garnfeinheit und Garngleichmäßigkeit. Die feinsten und gleichmäßigsten Garne erreicht man mit der Kammgarntechnologie, die einen Großteil ihrer Paralellisierung und Vergleichmäßigung an bereits zu einem Faserband zusammengefassten Fasern leistet. Dies geschieht bei gleichzeitigem Auskämmen durch mehrfaches Verstrecken bei gleichzeitigem Auskämmen der Faserbänder und „Doublieren“.

Eine Prozessstufe könnte beispielsweise so aussehen, das 8 Faserbänder gleichzeitig in eine Maschine laufen, die von dieser um den Faktor 12 verzogen werden. Der resultierende Kammzug wäre dann um ein Drittel leichter als die zulaufenden Kammzüge. Daneben würden sich so die kleinräumigen Gewichtsunterschiede der zulaufenden Einzelbänder im ablaufenden Band gegenseitig nivellieren und so den Kammzug homogenisieren.

Der bei beispielsweise Baumwolle erwünschte Effekt des Auskämmens zu kurzer Fasern („Kämmlinge“) würde für die Fasernessel jedoch bedeuten, das ein erheblicher Prozentsatz Fasern ausgekämmt und für die Garnherstellung nicht mehr zur Verfügung stünde.

Zum Spinnen in Leinentechnologie, die selbst für grobe Garne zum eigentlichen Spinnvorgang eine mittlere Faserlänge von etwa 70 bis 100 mm benötigt, sind die gereinigten Fasern, besser gesagt die verbliebenen Fasergruppen, der Fasernessel zu kurz.

Auf der anderen Seite ist die von der Faserlänge her zumindest für einen großen Teil der Nesselfaser zwar passende Kammgarntechnologie, aufgrund der oben geschilderten Faserverluste bei der Spinnereivorbereitung sowie wegen der im Vergleich zum Baumwolle sehr unterschiedlichen Einzelfaserdurchmesser, ebenfalls nicht gut geeignet.

Als Kompromiss bietet sich die Streichgarntechnologie an, die mit kurzen Fasern wesentlich sparsamer umgeht: Die Auflösung der als eine Art Vlies den Maschinen vorgelegten Fasern erfolgt in mehreren, hintereinander geschalteten Krempelsätzen („Kratzen“). Diese Einheiten bestehen im Prinzip aus einer großen, mit Nadeln oder Häkchen besetzten zentralen Walze (Tambour) sowie darum angeordneten, paarweisen Walzen („Arbeiter“ und „Wender“), die für Verfeinerung und Weitertransport der Fasern in der Maschine sorgen.

Dabei wird am Ende der Reinigungslinie etwa hundertmal so schnell abgezogen wie am Anfang vorgelegt wird. Dadurch kommt es neben der Ausreinigung auch zu einer gewissen Parallelisierung der Fasern im Vlies.

Anders als beim Kammgarn entsteht beim Streichgarn kein Kammzug, der noch mehrfach ausgekämmt und vergleichmäßigt werden muss, sondern das Vlies wird am Ende der Maschine durch einen sog. Florteiler in eine Vielzahl von Bändchen geteilt, die unter nur geringem Verzug mechanisch komprimiert, durch Ösen in runde Form gebracht und schließlich auf Vorgarnspulen gewickelt werden. Für dieses Verfahren spricht, dass auch vergleichsweise kurze Fasern durch die gesamte Linie mitgeführt werden und nicht wie beim Kammgarn verloren gehen.

Das erhaltene Vorgarn wird vor dem Feinspinnprozess – wiederum anders als beim Kammgarn – nicht oder nur wenig gestreckt. Das Vorgarn wird lediglich über Lieferwalzen dem Spinndreieck zugeführt und in diesem unmittelbar vor der Drallgebung letztmalig verzogen.

Auch mit dem Open End Spinnverfahren (hier übernimmt eine rotierende Luftsäule die Rolle der Spindel) lassen sich Nesselfasern, vor allem in Mischung mit Baumwolle oder Viskosefasern, verarbeiten. Zudem erfolgt die Garnbildung nicht aus einem Vorgarn heraus sondern direkt aus einem feinen Faserband; dies macht das OE-Spinnen zu einem sehr wirtschaftlichen, weil hochgradig automatisierbaren Spinnverfahren.

Allen bisher auf Industrieanlagen gesponnenen reinen Fasernesselgarnen ist gemeinsam, dass sie hinter den Erwartungen bezüglich Garnfeinheit und Garngleichmäßigkeit zurück geblieben sind.

Sofern die Fasern nicht überbleicht wurden konnten jedoch Garnfarben in einem warmen Cremeweiß, man möchte eher sagen in Champagnerfarbe, erreicht werden. So geben bereits die bislang produzierten Garne einen ersten Eindruck von der wunderbaren Verwandlung der wehrhaften Pflanze in ein wunderschönes Textil.

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